Strange Bedfellows Pt. II

Nachdem Fridays for Future die Klimakrise gelöst haben, können sich die Fachleute um Greta Thunberg jetzt neuen Themen zuwenden. Dabei ist es nur natürlich, dass man sich an Gruppen wendet, denen wie FFF der Klimaschutz besonders am Herzen liegt.

Fridays for Future & Free Palestine

Und wem würden jetzt nicht sofort die Palästinenser einfallen? Egal ob es um die praxisorientierte Entsorgung von Autoreifen, Mithilfe bei der Flurbereinigung im Nachbarlandendothermische Abfallverwertung oder die flächige Verdünnung von Schwermetallkonzentraten geht – für Palästinenser ist Umweltschutz nicht graue Theorie, sondern gelebte Realität.

Freiheitskämpfer

Mit Hass, Gewalt und totaler Verweigerung jedweden Kompromisses haben sich die Palästinenser ins Aus manövriert, dennoch machen sie auf ihrem Irrweg weiter. Leider lassen sich auch EU-Politik und Medien vor diesen Karren spannen.

Am vergangenen Donnerstag gab es erneut einen Anschlag auf israelische Zivilisten. Zwei mit Axt und Messer bewaffnete Palästinenser ermordeten drei Familienväter und verletzten vier weitere Opfer zum Teil lebensgefährlich. Die drei Todesopfer hinterlassen 16 Kinder. Einer der drei hatte die Terroristen in seinem Auto aus der Nähe der israelischen Grenzanlage mitgenommen.

Während israelische Sicherheitskräfte die Suche nach den geflohenen Terroristen begannen, kam es in den palästinensischen Gebieten zu einem inzwischen vertrauten Ritual. Auf erfolgreiche Anschläge gegen Israelis wird auf der Straße mit dem Verteilen von Süßigkeiten und Freudenfeiern reagiert. Die jüngste Attacke ist Teil einer Terrorwelle, die seit März bereits 19 Israelis das Leben gekostet hat.

Von den Feiern der Palästinenser ist bei der Nachricht zum Vorfall im Spiegel keine Rede, wie überhaupt das Wort “Palästinenser” vermieden wird, solange es sich nicht um Opfer, sondern um Täter handelt. Stattdessen spricht man neutral von “Angreifern”; “drei Menschen” seien “getötet worden”.

Damit steht der Spiegel beileibe nicht alleine, sondern folgt einem beständigen Muster in der üblichen Nahost-Berichterstattung. Nachdem ein Palästinenser aus Jenin im April drei Israelis aus unmittelbarer Nähe exekutiert hatte, berichtete der BR von einer “Kneipenschießerei” in Tel Aviv. 

Noch besser brachte es neulich das ZDF auf den Punkt, nachdem im November ein Hamas-Mitglied einen Stadtführer in der Jerusalemer Altstadt per Kopfschuss getötet und vier weitere Israelis verletzt hatte, und schließlich von Polizisten erschossen worden war. Während die ARD von “Toten und Verletzten bei Attacke am Tempelberg” berichtete, als sei über Opfer und Täter weiter nichts bekannt, titelte man beim ZDF forscher: “Israel: ein Palästinenser erschossen”. So also die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen aus dem Land, das von sich sagt, eine besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Staat zu tragen. Man fragt sich, wie die Schlagzeilen sonst wohl lauten mögen. Vielleicht so wie bei der Rheinischen Post: “Israelische Polizisten erschießen Palästinenser am Tempelberg”.

Von vorgeblicher Unwissenheit zur Täterumkehr. Beim Thema Nahost tun sich viele Medien schwer, selbst einfache Sachverhalte klar zu benennen.

Verschweigen, vernebeln, verdrehen

Während der Spiegel bei der jüngsten Attacke zu Tätern wenig und zu Freudenfeiern nichts zu sagen hat, findet er sehr wohl Platz für eine Erläuterung zum Hintergrund der Terrorattacke. Die Polizei nämlich “erlaubte es jüdischen Israelis wieder, den Tempelberg zu besuchen”, dabei gebe es immer wieder Verstöße der Juden gegen die Vereinbarung, nicht an der drittheiligsten Stätte des Islam zu beten. Deswegen “kam es zu Konfrontationen zwischen Palästinensern und Sicherheitskräften”. 

Die Israelis verstoßen, und “es kommt zu Konfrontationen”, vermutlich so ähnlich, wie es manchmal zu Unwettern kommt. So kann man das natürlich zusammenfassen. Ein ehrlicher Bericht aber sähe anders aus.

Der Tempelberg ist zwar die drittheiligste Stätte im Islam, aber mit der Klagemauer auch die heiligste Stätte im Judentum. Trotzdem war unter jordanischer Kontrolle Juden der Zutritt zur gesamten Altstadt und somit auch der Klagemauer verboten. Erst seit der Wiedervereinigung Jerusalems durch Israel im Sechstagekrieg 1967 ist Angehörigen aller Religionen freier Zugang zu ihren jeweiligen Andachtsorten garantiert.

Muslime beten auf dem Tempelberg.

Israel unternimmt gewaltige Anstrengungen, diese Garantie unter schwierigen Umständen aufrechtzuerhalten. In Anerkennung der Bedeutung des Tempelbergs für Muslime hat Israel seine Verwaltung einer muslimischen Stiftung (dem Waqf) unterstellt. Nichtmuslimen ist zwar das Betreten des Areals erlaubt, um Ausschreitungen zu vermeiden ist aber Juden das Beten auf dem Tempelberg verboten. Weil das Verbot nicht immer beachtet wird, hatte Israel in den vorangehenden zwei Wochen jüdischen Besuchern zum Ende des Ramadan gänzlich den Zutritt verwehrt, während der Ort für Muslime frei zugänglich blieb. Am Donnerstag war der Zugang wieder für alle Menschen freigegeben worden. Diese “Provokation” war für Hamas offenbar so unerträglich, dass ihr Anführer Yahya Sinwar wenige Tage vor dem jüngsten Anschlag verkündete: “Jeder, der ein Gewehr hat, möge es bereit machen. Und wenn Du kein Gewehr hast, greife zum Fleischermesser oder Axt.“ Am Donnerstag war man seinem Aufruf gefolgt.

Für Hamas und die vielen palästinensischen Akteure, deren Dasein untrennbar verbunden ist mit dem Kampf gegen den jüdischen Staat, und für die die langsame Normalisierung zwischen Arabern und Juden eine existentielle Bedrohung darstellt, ist der Tempelberg ein ideales Betätigungsfeld. Durch den hohen Symbolwert hat jede dort stattfindende Auseinandersetzung das Potential, einen Flächenbrand auszulösen. 

Bilder provozieren, die den Hass anstacheln

Das gilt insbesondere für die auf dem Berg stehende Moschee Al-Aqsa (“Die Juden haben kein Recht sie zu entweihen mit ihren schmutzigen Füßen”, Mahmud Abbas 2015). Es ist deswegen kein Zufall, dass gerade von ihr aus Angriffe gegen Israelis inszeniert werden. Die unausweichlich entstehenden Bilder garantieren Empörung in der gesamten muslimischen Welt. Vor diesem Hintergrund lassen sich dann besonders leicht Attentäter motivieren, deren Anschläge und die darauf folgenden Fahndungen die Situation immer weiter aufheizen.

Ähnliche Vorgänge hatten schon den Krieg zwischen Israel und Hamas im Mai 2021 ausgelöst. Auch da hatte Israel nur zu verlieren: Verteidigt Israel sich nicht, macht Hamas mit massivem Raketenbeschuss ein Leben unmöglich. Geht Israel gegen Hamas vor, lösen die unvermeidbaren Opfer und Zerstörungen immer größeren Hass sowie weltweite Verurteilung aus, die die Legitimität Israels zunehmend erodieren lässt. Diese Gleichung geht nur mit Hilfe westlicher Journalisten auf.

Steinbrocken in Al-Aqsa, als Wurfgeschosse für Angriffe auf Israelis

Auch dieses Jahr war es nicht einfach “zu Unruhen gekommen”, wie es nicht nur der Spiegel schreibt. Stattdessen hatten Palästinenser Polizisten und Zivilisten an der unterhalb liegenden Klagemauer mit Steinbrocken und Feuerwerkskörpern angegriffen und sich dann in der Moschee verbarrikadiert. Die Szenen der gegen sie vorgehenden Polizeibeamten sorgten wie erwartet für helle Empörung in der gesamten muslimischen Welt. Dass einige der palästinensischen Angreifer in der Moschee Schuhe trugen, ein Unding für einen gläubigen Muslim, schien dabei genauso wenig zu stören, wie die Tatsache, dass es gerade der Einsatz der israelischen Polizei war, der es noch am gleichen Tag trotz der Unruhen 200,000 Muslimen ermöglichte, ungestört am Tempelberg beten zu können.

Deutsche Medien machen sich zum Bestandteil einer zynischen Terror-Logik

Die Auseinandersetzung um Al-Aqsa sind Teil einer Strategie, die bewusst versucht zu eskalieren, um Israel größtmöglichen Schaden zuzufügen, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren und die stattfindende Annäherungen zwischen Juden und Arabern im Keim zu ersticken. Leider nicht ohne Erfolg. Dahinter steckt immer noch die Hoffnung, langfristig den jüdischen Staat vernichten zu können:

Durch tendenziöse oder schlampige Berichterstattung machen sich viele deutsche Medien zum Bestandteil dieser Logik. Das schadet nicht nur Israel, das als die einzige freie Gesellschaft der Region eine faire Behandlung verdient hätte. Ähnlich wie UNWRA, NGOs und die Autonomiebehörde tun sie damit auch den im eigenen Narrativ feststeckenden Palästinensern keinen Gefallen. Nichts steht einer Verbesserung der palästinensischen Lebenssituation mehr im Wege als Hass, Gewalt und die totale Verweigerung jedweden Kompromisses.

Umso tragischer, dass sich Europäische Politik und Medien immer wieder vor diesen Karren spannen lassen, statt sich zugunsten aller Bewohner der Region klar und konsequent für Koexistenz und Zusammenarbeit zu positionieren. Eine saubere Berichterstattung wäre dabei der erste Schritt.

Wind of Change

Das Lied der Scorpions weckt bei älteren Semestern wehmütige Erinnerungen an den Mauerfall, Perestroika und das Ende des kalten Krieges. Die Hoffnungen der damaligen Zeit auf eine bessere Zukunft könnten nicht schmerzhafter zertrümmert werden, als es in diesen Tagen vor unseren Augen passiert.

Insofern sollte man sich vor übertriebenen Hoffnungen auch in einem anderen Teil der Welt hüten, wo gegenwärtig eine vielversprechende Brise wahrgenommen werden kann. Bei aller Vorsicht aber sind einige der in Israel und den Nachbarländern stattfindenden Entwicklungen tatsächlich bemerkenswert.

Seit der Unterzeichnung der Abraham Accords, zunächst zwischen Israel, den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain, und der darauf folgenden Normalisierung mit Sudan und Marokko, hat sich die Region in einer Weise verändert, die bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Innerhalb kurzer Zeit entstanden eine Vielzahl von Partnerschaften zwischen Firmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Delegationen aus Wirtschaft und Politik legten Grundlagen für eine enge Zusammenarbeit, die schon jetzt erstaunliche Dimensionen erreicht hat. So kletterte das Handelsvolumen zwischen Israel und den VAE innerhalb eines Jahres auf beachtliche 900 Millionen USD. Auch die Zahlen für den Handel mit Bahrein, Marokko, Ägypten und Jordanien sind seit Abschluss der Verträge in die Höhe geschnellt. Eine Reihe neuer Flugverbindungen erleichtern die Praxis der neuen Beziehungen zwischen Tel Aviv und den arabischen Metropolen der Region.

Dabei handelt es sich nicht mehr nur um einen kalten Frieden, der sich auf offizielle Termine beschränkt, wie es bei den vorherigen Friedensabkommen der Fall war. Vieles deutet auf eine echte Wandlung und Annäherung hin, vom Umschreiben der Schulbücher über Schüleraustausche, bis hin zum kulturellen und religiösen Dialog und Zusammenarbeit

Zum ersten Mal nahm im April 2022 eine Delegation aus den VAE am Marsch der Lebenden in Auschwitz teil, von wo sie gemeinsam mit muslimischen Influencern aus anderen Ländern einem breiten arabischen Publikum den Holocaust erklärten.

Eine Gruppe israelischer Araber, Drusen, Christen und Muslime, in Auschwitz am Holocaust Gedenktag

Auch in Israel selber sind weitreichende Veränderungen im Verhältnis zwischen Juden und Arabern im Gange. Der Regierungswechsel im Juni 2021 brachte zum ersten Mal eine islamistische und eine jüdisch-nationalreligiöse Partei in eine gemeinsame Koalition. (Außerdem im Kabinett: ein ehemaliger General, eine Feministin, ein russischstämmiger Einwanderer, ein offen homosexueller Progressiver und ein ehemaliger Talk-Show Star.) 

Im Februar wurde der erste muslimische Richter am Obersten Gerichtshof ernannt. Während arabische Israelis vom Wehrdienst freigestellt sind, nimmt die Zahl der freiwillig in der israelischen Armee dienenden Muslime von Jahr zu Jahr weiter zu. 

Als Amnesty International im Februar einen verzerrten Bericht vorlegte, der Israel als Apartheidstaat brandmarkte, waren es nicht zuletzt Araber wie der Israeli Yoseph Haddad und der Palästinensische Menschenrechtsaktivist Bassem Eid, die lautstark Protest einlegten. Bei einer der letzten Terrorattacken war es der israelisch-arabische Polizist Amir Khoury, der den Attentäter stellte und von ihm erschossen wurde. Das ganze Land trauerte.

Das Fazit ist klar: Trotz der Spannungen, die nach wie vor existieren (und mitunter heftig aufflackern), hat sich das Verhältnis zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten teilweise auf geradezu erstaunliche Weise verbessert. 

Dabei spielt der israelisch-palästinensische Konflikt zweifelsohne weiterhin eine Rolle. Aber auch in den arabischen Ländern der Region hat man nur noch wenig Geduld mit den in ihrer Verweigerungshaltung und Opferrolle seit Jahrzehnten feststeckenden Palästinensern. Schon nach dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David war es Prinz Bandar, der zu den schärfsten Kritikern der palästinensischen Verhandlungsposition gehörte. Seitdem, und während die palästinensische Führung immer tiefer in der Verhandlungsunfähigkeit versinkt, ist man immer weniger bereit, seine eigenen Interessen zugunsten der palästinensischen Sache zurückzustellen.

Stattdessen erkennt man die Chancen, die die Zusammenarbeit mit dem wirtschaftlichen Powerhouse der Region und seinem technologischen, akademischen und wirtschaftlichen Know-How bieten können. Dass der jüdische Staat trotz unbestrittener Probleme in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte ist, dessen Bevölkerung einen zunehmend hohen Lebensstandard genießt, und mit zu den zufriedensten Gesellschaften der Welt gehört, hat sich herumgesprochen.

Nicht zuletzt hat auch die Furcht vor dem gemeinsamen Feind Iran zur Annäherung beigetragen.

Pikanterweise hat Europa bei den stattfindenden historischen Veränderungen der Region so gut wie keine Rolle gespielt. Für die sich als Diplomatie- und Friedensmacht sehenden europäischen Länder sollte das Anlass zum Nachdenken bieten. Während im Nahen Osten alte Feindbilder in verblüffend kurzer Zeit verschwunden sind und sich historische Aussöhnungen vollziehen, hält man in Europa unbeirrt an den seit Jahrzehnten vergeblich angewandten Formeln und Denkmustern fest. Organisationen wie UNWRA, Amnesty International und die Palästinensische Autonomiebehörde mögen glauben, im Interesse der Palästinenser zu handeln. Dabei perpetuieren sie das Problem, in dem sie Opferrolle, Kompromisslosigkeit und Militanz immer tiefer im Bewusstsein der Bevölkerung verankern.  

Dabei könnte z.B. in Gaza in kürzester Zeit ein Kleinstaat entstehen, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel zum Singapur des Nahen Osten werden könnte. Israel würde dem nicht entgegenstehen, sondern im Gegenteil ein friedliches Nebeneinander mit voller Kraft unterstützen. Nicht, weil Israelis besonders edle Menschen sind. Es liegt schlicht im eigenen Interesse. Das buchstäblich Einzige, was einem solchen Szenario im Wege steht, ist der fehlende Wille der dortigen Hamas-Führung sowie der indoktrinierten Bevölkerung. Die fortlaufende Aufwiegelung wird auch von UNWRA ermöglicht und von westlichen Ländern finanziert. Angesichts des Leids, das der eiternde Konflikt in Gaza beiden Seiten seit Jahren beschert, ist das eine schmerzliche Einsicht. 

Auch in der alten, und inzwischen wieder neuen, Garde des State Department hat man die historischen Chancen eines Neuanfangs in der Region partout nicht sehen wollen. Vom früheren Secretary of State und heutigen Klimabeauftragten John Kerry ist folgende besonders vehement vertretene Fehleinschätzung aus dem Jahre 2016 überliefert:

Lassen Sie mich Ihnen ein paar Dinge sagen, die ich in den letzten Jahren mit Sicherheit gelernt habe. Es wird keinen separaten Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt geben. Das möchte ich euch allen ganz klar sagen. Ich habe einige prominente Politiker in Israel manchmal sagen hören, nun, die arabische Welt befindet sich jetzt an einem anderen Ort, wir müssen uns nur an sie wenden und wir können einige Dinge mit der arabischen Welt regeln und uns danach um die Palästinenser kümmern. Nein, nein, nein und nein. Ich kann Ihnen das sogar in der letzten Woche bekräftigen, als ich mit Führern der arabischen Gemeinschaft gesprochen habe. Ohne den palästinensischen Prozess und den palästinensischen Frieden wird es keinen Fortschritts- und Separatfrieden mit der arabischen Welt geben. Das müssen alle verstehen.

Vier Jahre später wurden die Abraham-Accords unterzeichnet. Es ist nicht die einzige Grundüberzeugung, die in diesen Tagen revidiert werden muss. Die Entwicklungen der letzten Jahre beweisen aber, wie weit man mit frischen Ideen, zukunftsorientierter Zusammenarbeit und dem Loslösen von alten Ressentiments kommen kann. Es bleibt zu hoffen, dass man auch in Europa dieses Potential erkennt und zu unterstützen beginnt.

Strange Bedfellows

Ansichten zu Ukraine, Israel, USA: Es wird jeden Tag schwieriger, zwischen hart links und hart rechts zu unterscheiden. Werden in Zukunft Pegida und Ostermarsch zusammengelegt?

Optisch kann man sie ja bisher noch ganz gut auseinanderhalten. Aber wer weiß, was da als Nächstes kommt. Bringt Thor Steinar eine Batik-Edition heraus? Vielleicht hinten drauf „Free, free Palestine“? Dazu ein lila Halstuch für Konstantin Wecker.

Si Vis Pacem, Memento Bellum?

In Deutschland verweist man gerne und oft auf die historische Verantwortung. Verbessert der häufige Rückgriff den gesellschaftlichen Diskurs?

Gestern ist es wieder passiert: ein Bekannter schrieb auf Facebook: 

“Dass sich gerade in Deutschland viele Menschen mit Waffenlieferungen schwer tun, finde ich absolut nachvollziehbar. Viele sehen hier eine historische Verantwortung. Es war ja nicht grundlos jahrzehntelang deutsche Doktrin, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Die Furcht, dass der Konflikt hierdurch eskalieren könnte, ist auch nicht von der Hand zu weisen.”

Da ist eine Gesinnung auf den Punkt gebracht, die sich in dieser Form ausschließlich in Deutschland beobachten lässt. Also, der Reihe nach. Zunächst die Angst vor Russlands Reaktion. Eigentlich plausibel. Wer will schon in Putins Fadenkreuz geraten? Nur – wer im Frühjahr ‘22 soviel Angst vor Putin hat, dass er sie zum Leitmotiv des politischen Handelns macht, hätte vielleicht in den Jahren vorher die vielen Warnungen der Welt nicht ganz so leichtfertig und arrogant in den Wind schlagen sollen. 

Gefahren stur auszublenden, solange sie Andere betreffen, dabei viel Geld zu verdienen, um dann im Anschluss umso ängstlicher zu agieren, sobald die eigene Sicherheit zur Debatte stehen könnte – ein schmeichelhaftes Bild ist es nicht, das Deutschland hier abgibt. 

Aber die Erlösung steht bereit: die Doktrin, in Krisengebiete keine Waffen zu liefern, ein Evergreen des deutschen Pazifismus, oft und gerne zitiert, ein Sinnbild edler Gesinnung. Und natürlich, im klassischen Duett: der deutsche Pazifismus als Folge und Ausweis einer besonderen Verantwortung vor der Geschichte. 

Mit ein paar kurzen Worten hat man eine Haltung, die man sonst als schwächlich bezeichnen könnte, in das edle Handeln eines geläuterten Landes verwandelt, das vorbildlich aus der Vergangenheit gelernt hat und deshalb fortan sein Verhalten nach höchsten Standards ausrichtet. Ein argumentativer Geniestreich, dessen Gebrauch entsprechend weit verbreitet ist.

Oft wiederholt, selten hinterfragt

Es gibt nur einen Haken: die Argumentation ist unhaltbar.

1. Der Pazifismus ist mitnichten die offensichtliche Lehre aus der deutschen Geschichte. Es war nicht der Pazifismus, der die Menschheit vom Joch der Nazis befreit hat, sondern eine unerbittliche Kriegsmaschine. Soldaten, Partisanen, Widerstandskämpfer, Ingenieure, Wissenschaftler, Saboteure und Spione, die sich heldenhaft und über Jahre hinweg dem Hitlerschen Verbrecherregime entgegen geworfen haben, vielfach gefallen sind, aber letztendlich nur so die Grundlage für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa geschaffen haben. Selbstverständlich unter Verwendung von Waffen. 

Mir ist kein Fehlschluss bekannt, der häufiger wiederholt und seltener hinterfragt wird als dieser.

2. Wer ernsthaft nach Lehren aus der deutschen Vergangenheit sucht, und sich dabei auch in die Perspektive der zahllosen Opfer des Dritten Reiches begibt, stößt viel plausibler auf ganz andere Schlussfolgerungen. Z.B, nie wieder Völkermord. Nie wieder Vernichtungskrieg. Nie wieder Appeasement. Nie wieder Verharmlosung derer, die Unerhörtes sagen, denn sie meinen es häufig ernst. Das alles wären moralisch bedeutsame Kategorien, die aber ganz andere Imperative erforderlich machten, die in der deutschen Diskussion kaum eine Rolle spielen, und in keiner “Staatsdoktrin” verankert sind. 

3. Wer sich einer besonderen historischen Verantwortung stellt, unterwirft sich einer Bürde. Man muss sein Handeln der Verantwortung anpassen, notfalls auf Kosten der eigenen Interessen. Ansonsten ist sie bedeutungslos. Mitnichten darf eine historische Verantwortung ex-post-facto als Vermarktung des Kurses ins Feld geführt werden, den man aus ganz anderen Gründen eingeschlagen hatte. Es ist ein Missbrauch, wenn man aus Angst vor Putin nicht handelt, und als Rechtfertigung aber auf die deutsche Vergangenheit verweist. So wird aus der Bürde der Schuld ein Werkzeug zu Diensten der Schuldigen.

4. Die deutsche Doktrin, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, ist nicht nur eine fragwürdige Schlussfolgerung aus den Lehren der Geschichte. Sie war auch in weiten Teilen eine Fiktion. Deutschland ist seit Jahren einer der weltweit größten Waffenexporteure, inklusive in kriegführende Krisengebiete, wie Saudi Arabien, die Türkei, Ägypten und, man staune, offenbar auch an Putins Regime. Die deutsche “Doktrin” konnte also je nach Bedarf bemüht oder ignoriert werden, wurde aber unbeirrt wie eine Monstranz vor sich hergetragen, der Welt präsentiert und im eigenen Land weithin für richtig und verbindlich gehalten. Betrug und Selbstbetrug im gleichen Maße. 

Wohlfeiles Wedeln mit der Verantwortung

Mich überkommt Unbehagen angesichts des wohlfeilen Wedelns mit der Verantwortung durch meinen Bekannten, und wie es in ähnlicher Form an vielen Stellen in der öffentlichen Diskussion auftaucht. Ist das die vielgerühmte Erinnerungskultur in Deutschland? Was für eine Auswirkung hat sie eigentlich auf die Meinungsbildung im Land? Richtet sie in Ihrer gegenwärtigen Ausprägung vielleicht mehr Schaden an, als sie Gutes tut? 

Es spricht einiges dafür. Nicht nur hat sie die Integrität der deutschen Außenpolitik nicht zu erhöhen vermocht. Vielmehr hat das penetrante, aber opportunistische Verweisen auf die Vergangenheit beigetragen zu einer Positionierung, die unter objektiven Kriterien kaum noch nachzuvollziehen ist. Die Verweigerung von Waffenlieferungen durch die Regierung Scholz bis in die ersten Kriegstage hinein ist nicht nur in der Ukraine nicht zu vermitteln. Und es war Frank-Walter Steinmeier, einer der umtriebigsten “Historiker” der ex-post-facto Kategorie, der seine fehlgeleitete Russlandpolitik immer wieder mit selektiv zusammengeklaubten Geschichtsverweisen zu rechtfertigen suchte. Was er bei seinen Festreden nicht erwähnt hat, waren die dahinterstehenden wirtschaftlichen Interessen. So gesellt sich zum Sündenstolz die Sündendividende. Die Unredlichkeit seiner Argumentation bietet die Grundlage für das Zerwürfnis zwischen ihm und der ukrainischen Staatsführung, die sich inzwischen nicht mal mehr gemeinsam mit ihm fotografieren lassen will. 

Ganz allgemein wird im Ausland Deutschlands Haltung immer mehr mit Befremden zur Kenntnis genommen. Im Land selber ist man dabei weiterhin mächtig stolz auf seinen Umgang mit der Geschichte. Wenn es der deutschen Zivilgesellschaft aber ernst ist mit ihrer historischen Verantwortung, wäre es höchste Zeit für die offene und schmerzliche Revision der zu ziehenden Lehren. 

Selbst dann ist es klar, dass die Aufarbeitung der Geschichte immer unvollkommen bleiben wird. Dafür ist die Welt zu kompliziert. Außerhalb spezifisch historischer Thematik sollte man sich den flotten Hinweis auf Vergangenheit und Verantwortung daher öfters mal verkneifen, um die Geschichte nicht vollends zum Selbstbedienungsladen genehmer Argumente verkommen zu lassen.

Man kann seine Standpunkte auch anders begründen. Und wenn nicht, spricht es mitunter nicht für die Qualität des Standpunkts.